Er ist oft gereizt, vergisst wichtige Dinge, hat etwas viel Fett auf den Rippen, sein Rücken schmerzt, es fehlt ihm an sozialen Kontakten. Symptome eines Menschen, der nicht tanzt. Und ganz bewusst in der männlichen Form geschrieben, weil viele Männer (noch) nicht tanzen. Aber - Tanzen ist im Trend und kann die körperliche und geistige Gesundheit von Männern und Frauen nachhaltig stark beeinflussen.


Diese eingangs formulierte, medizinisch-psychologisch etwas salopp formulierte Beschreibung eines Nichttanzenden zeigt im Umkehrschluss, was Tanzen erwirken kann. Wer seinen Körper regelmässig zu musikalischen Rhythmen bewegt, wer sich mit einer Tanzpartnerin oder einem Tanzpartner oder in Gruppen zusammenfindet und regelmässig tanzt, bewirkt mit diesem Tun einiges - und dies eigentlich ganz unbewusst. 

  • Tanzen ist eine Aktivität, welche Ausdauer, Kraft, Flexibilität und Koordination fördert. Tanzen ist ein Ganzkörpertraining, das die Herz-Kreislauf-Fitness verbessert, Muskeln stärkt und die Beweglichkeit erhöht. Ob es sich dabei um einen Freizeittanz oder Leistungssport handelt, ist dabei zweitrangig. Oder anders gesagt; es spielt keine Rolle, wie gut man dabei aussieht, Hauptsache, man bewegt sich.
  • Tanzen ist eine effektive Möglichkeit, Kalorien zu verbrennen und Gewicht zu verlieren. Je nach Intensität und Tanzstil ist das unterschiedlich.
  • Tanzen erfordert eine gute Körperhaltung und Körperkontrolle. Durch regelmässiges Tanzen kann man die Körperhaltung verbessern und Rückenproblemen vorbeugen.
  • Tanzen kann helfen, Stress abzubauen und die Stimmung zu verbessern. Es ist eine kreative und expressive Aktivität, die Endorphine freisetzt und das allgemeine Wohlbefinden steigert.
  • Tanzen kann eine soziale Aktivität sein, bei der man neue Leute kennenlernen und soziale Bindungen stärken kann. Es kann das Selbstvertrauen und das Selbstbewusstsein steigern und das Gefühl der Zugehörigkeit fördern.
  • Tanzen erfordert Konzentration, Koordination und Gedächtnis. Es kann das Gehirn stimulieren und die kognitiven Fähigkeiten verbessern.

Verbandsärztin bestätigt Vorteile

Eine der kompetentesten Ansprechpersonen in medizinische Fragen im Schweizer Tanzsport ist Dr. med. Sahra Schwab-Müller, seit Frühjahr 2023 Verbandsärztin des Schweizer Tanzsportverbandes STSV. In dieser Funktion ist sie in erster Linie die Ansprechperson für die Nationalkader, Schaltstelle bei medizinischen Fragen und sichert zudem die medizinische Notfallbetreuung der lizenzierten Paare an Schweizer Meisterschaftsturnieren.


„Tanzen beansprucht Körper und Geist gleichermassen, Tanzen ist ein anspruchsvoller ganzheitlicher Sport“, bestätigt sie. „Tänzer sind koordinativ gefordert, müssen sich rhythmisch und im Ausdruck passend zur Musik bewegen und auf die Bewegungen der Mittanzenden reagieren und interagieren. Das ist sehr anspruchsvoll und fördert deshalb neben der Physis auch kognitiv-motorische Fähigkeiten.“ Wer tanzt, exponiert sich in der Gruppe, aber auch gegenüber Publikum. Deshalb braucht es gerade im Freizeitbereich zunächst auch etwas Überwindung, die eigene Komfortzone zu verlassen.  Dabei lerne man aber quasi spielerisch, so Schwab-Müller, im Alltag mit Stress besser umgehen zu können. Die Toleranzschwelle gegenüber „dem alltäglichen Druck von aussen“ liegt bei Tänzerninnen und Tänzern nicht nur im kompetitiven Sport höher.


Im Leistungssport, den sie als Verbandsärztin hauptsächlich im Auge hat, beobachte sie verschiedene Problemzonen. „Eine intakte Beinachsen-Becken-Rumpf-Stabilität und eine suffiziente tiefe Wirbelsäulenstabilität sind extrem wichtig. Des Weiteren ist ein gut trainierter oberer Rückenbereich inkl. der Schulterblattfixatoren essentiell, um Überlastungsbeschwerden im Schulter-Nackenbereich zu vermeiden.“


Viele Tänzerinnen und Tänzer leiden unter Problemen mit den Füssen und Sprunggelenken. Einige Karrieren stagnierten aus diesem Grund oder mussten sogar beendet werden. Der Prävention kommt an dieser Stelle eine hohe Bedeutung zu. Trainingseinheiten, die sich bewusst der Kräftigung und dem Aufbau der genannten Strukturen widmen, helfen den Tanzenden nicht nur die Leistung zu verbessern, sondern sorgen auch für die „Nachhaltigkeit“ im Sport.


„Die selbstvergessene Freude am Sport, die knappen zeitlichen Ressourcen und manchmal auch beschränkte finanzielle Mittel, lassen den medizinischen Aspekt - insbesondere im Leistungssport - oftmals in den Hintergrund rücken“, stellt die STSV-Verbandsärztin fest. „Dieser ist aber enorm wichtig, um den geliebten Sport möglichst lange auf dem gewünschten Niveau, zudem möglichst beschwerdefrei und leistungsstark ausüben zu können.“ Eines der Ziele von Schwab-Müller ist aus diesem Grunde, die gesundheitliche Nachhaltigkeit im STSV zu fördern, die Tanzpaare auf ihre Gesundheit und die Möglichkeiten zur Prävention zu sensibilisieren und zu unterstützen. 

Tanzen senkt Demenzrisiko um 76%

Es gibt interessante Studien, welche die gesundheitlichen Aspekte des Tanzens hervorheben. Eine Studie der medizinischen Fakultät der amerikanischen Elite-Universität Stanford wollte herausfinden, ob es einen Unterschied zwischen Fitness-, Kraft- und Ausdauerübungen und dem Tanzen gibt. Die Studie lief über ein halbes Jahr und es nahmen Menschen im Alter über 60 Jahre - das Durchschnittsalter betrug 68 Jahre - daran teil. Die eine Hälfte absolvierte ein Sportprogramm, die andere Hälfte ein anspruchsvolles Tanztraining, bei dem immer wieder neue Tänze einstudiert wurden. Nach einem halben Jahr zeigte sich, dass bei den Tänzern Aufmerksamkeit, Flexibilität, Gleichgewicht, geteilte Aufmerksamkeit und Wachsamkeit verbessert hatten. Bei den anderen Sportlern hatte sich nur die Wachsamkeit verbessert.


Woran liegt das? Wer sich bewegt, bei dem entstehen neue Nervenzellen. Dann ist es aber auch wichtrig, dass diese Nervenzellen durch geistiges Training gefordert sind. Sonst verkümmern sie wieder. Im Tanzen vereint sich bekanntlich die körperliche Bewegung und das geistiges Training. Hier ist eine gelernte Schrittfolge zu beachten und immer wieder abzurufen ist. Dies ist eine anspruchsvollere Tätigkeit, als in einem Fitnessprogramm stets die gleichen Bewegungsabläufe durchzuführen. Am besten gelingt das natürlich, wenn zwischendurch immer wieder neue Tanzschritte und Abfolgen einstudiert werden.


Dass sich Musik positiv auf Demenzpatienten auswirkt, war schon lange bekannt. In einer finnischen Studie wurde nämlich nachgewiesen, dass sich durch Singen das Arbeitsgedächtnis, die Orientierung und die Denkleistungen verbessern. Ausserdem wirkt Singen gegen depressive Verstimmungen. Wer selbst musiziert, schult das Gehirn in besonderer Weise und ist länger vor Demenz geschützt. Von daher konnte erwartet werden, dass sich beim Zusammenspiel von Bewegung und Musik ebenfalls ein positiver Faktor ergibt - was sich so auch bestätigte. Denn bei den Tänzern dieser Studie zeigte sich, dass es zu einem Anstieg des Nervenwachstumsfaktors kam, der für die Bildung neuer Nervenzellen und für das Langzeitgedächtnis eine grosse Rolle spielt. Deshalb kann vermutet werden, dass durch Tanztraining der geistige Abbau bei einer leichten Demenz verzögert wird.


Eine hoch beachtete Studie zur geistigen Gesundheit von älteren Menschen veröffentlichte das Albert Einstein College of Medicine in New York City. Es ging dabei um die objektive Messung mentaler Klarheit beim Altern und die Überwachung der Demenz-Raten, einschliesslich der Alzheimer-Krankheit. Diese Studie fokussierte auf die Beeinflussung mentaler Klarheit durch körperliche oder kognitive Freizeitaktivitäten. Einige der Aktivitäten hatten einen signifikanten positiven Effekt, andere Aktivitäten waren wirkungslos. Es wurden kognitive Aktivitäten wie Bücher lesen, schreiben zum Spass, Kreuzworträtsel lösen, Spielkarten und Musikinstrumente spielen oder körperliche Aktivitäten wie Tennis oder Golf spielen, Schwimmen, Radfahren, Tanzen, Wandern sowie Hausarbeit, untersucht. Eine der Überraschungen der Studie war, dass fast keine der körperlichen Aktivitäten einen Einfluss auf das Vorkommen von Demenz bei den Probanden zu haben schien.

Mit einer wichtigen Ausnahme: Tanzen soll das Demenzrisiko um 76% reduzieren! Wer regelmässig Bücher liest, erzielt mit 35% ebenfalls einen guten Wert, mit 47% Risikoreduktiion schneiden auch die fleissigen Kreuzworträtsel sehr gut ab. Hingegen bringen Radfahren, Schwimmen oder Golfspielen bezüglich Risikoreduktion für Demenz gar nichts. 

Tanzkultur - das grosse Potential

Tanzen hat in vielen Kontinenten eine tief verankerte Kultur. In Südamerika, in Afrika oder Asien treffen sich Menschen aller Altersschichten zum gesellschaftlichen Tanzen. Kleine Kinder werden mitgenommen, sehen ihre älteren Geschwister, die Eltern, ihre Grossväter und Urgrossmütter. Sie ahmen sie nach und werden später selbst zu Vorbildern der nächsten Generationen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, seinen Körper gemeinsam mit anderen Menschen im Takt der Musik zu bewegen, sich zu sehen, zu spüren, zu berühren.


In der Schweiz sowie vielen mittel- und nordeuropäischen Ländern ist diese Kultur des gemeinsamen Tanzens weit weniger verbreitet. Hierzulande - die BASPO-Studie hat es gezeigt - sind zudem vor allem die Männer noch im Rückstand. Es ist nicht so cool, denken sie sich vielleicht und gehen lieber auf den Fussballplatz oder bauen in einem Fitnesstudio ihre „Muckis“ an diversen Kraftmaschinen auf.


Bei der Geburt haben die kleinen Büblein noch keinen Nachteil. Jedem Neugeborenen ist die Fähigkeit, einem Rhythmus zu folgen, in die Wiege gelegt. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, das das Gehirn von Neugeborenen auf plötzliche Taktunterbrechungen in der Musik reagiert, also bereits ein Rhythmusgefühl vorhanden sein muss.


Wenn sich Buben, Jugendliche und Männer sich selber und das Tanzen als normale Form des Freizeitvertreibens entdecken, so würde grosses Potential freigelegt.


Hat nicht die ganz grosse Mehrheit von uns Menschen ein Bedürfnis, nebst einem individuellen Lebensstil auch Kontakte und Beziehungen zu finden? Tanzen kann dafür öffnend wirken. Wer sich in der Freizeit dem Tanzen zuwendet, findet Gleichgesinnte. Gemeinsam finden sie eine andere Kommunikationsebene. Synchrone Bewegungen erleichtern es den Tanzpartnern, in die Rolle des anderen zu schlüpfen und so ein besseres Verständnis füreinander zu entwickeln. Tanzen kann ein Leben verändern. Tanzen kann in einem gesunden Sinn süchtig machen, wenn man entdeckt, was mit dem eigenen Geist und Körper passieren kann. Wer’s noch nicht ausprobiert hat, der müsste dies baldmöglichst nachholen.

Tanze dich gesund - und werde ein Leben lang glücklich.