Trudis Erinnerungen

verfasst im Jahr 2005 von Trudi Schmucki, Ehrenmitglied seit 2003, Zürich

Als ich am 3. Juni 1947, mit dem Velo von London kommend, in die Schweiz einreiste, war dieses Land punkto Tanzen noch ein Entwicklungsland.

Es gab wohl öffentliche Dancings, aber das waren Orte, wo der primäre Gedanke "boy meets girl" war und das Tanzen eine untergeordnete Rolle spielte. Dagegen hatte und habe ich nichts, denn ich habe in meinem Leben viele wertvolle Bekanntschaften durch das Tanzen gemacht. Ich habe jedoch ein stilvolles Tanzen gesucht, so wie ich es von England gewohnt war, und Ansätze dazu habe ich am ehesten in der Tanzschule Jenzer im Seefeld gefunden. Als er erfuhr dass ich im Besitze des Associate Diploms, sowohl in Standard wie in Latin war, bot er mir eine Stelle als Assistentin an. Ich habe die nächsten 2 Jahre dort verbracht, und lernte in dieser Zeit meinen Mann Albert kennen. Er war Schweizer Amateurmeister gewesen mit seiner ersten Ehefrau, von 1933 – 1941, dann wieder von 1948 – 1950. Mit mir musste er natürlich ins Profi-Lager wechseln, und wir eröffneten unsere eigene Tanzschule an der Schoffelgasse im Januar 1951.

Zu dieser Zeit gehörte es nur in den gehobeneren Kreisen zum guten Ton in die Tanzstunde zu gehen, dementsprechend war der Konkurrenzkampf unter den Schulen gross, und es wurde um jeden Schüler gekämpft.

Es hatte in den Kursen immer viel mehr Herren als Damen, da die Ansicht herrschte, dass, wenn der Mann gut führt und die Frau anpassungsfähig ist, sie keinen Unterricht brauche. Da Albert und ich Turniere tanzen wollten, war die einzige Möglichkeit, ein Übungslokal zu bekommen, eine eigene Schule zu betreiben. Bevor wir in die Schule einziehen konnten, haben wir jeweils einen tragbaren Plattenspieler aufs Velo geschnallt und sind ins Casino Zollikon gefahren!
 

Tanzmässig hatte es 1948 einen Knall gegeben, als das italienische Konsulat einen Ball im Kongresshaus durchführte und die italienische Band Samba spielte. Über Nacht wollte ganz Zürich Samba tanzen. Ich war für den Unterricht (noch bei Jenzer) bestens gerüstet, da mein Lehrer in England am Ende des Krieges sofort nach Paris gereist war zu Georges und Rosy, den damaligen Kapazitäten auf dem Gebiet der LA Tänze. Auch als die Rockmusik einschlug durch Bill Haley und später Elvis, war ich gerüstet, da der Jive durch die G.I.’s nach Europa kam mit dem Eintritt der USA in den Krieg. Da hatten wir aber schon die eigene Schule. Nebenbei bemerkt: Privatstunden kosteten zu dieser Zeit Fr. 8.- und ein Kurs à 10 mal 2 Std. Fr. 30.-. Der Jahresbeitrag im Tanzlehrerverband war Fr. 20.-.



An den ersten Kongressen herrschte nie eine kollegiale Stimmung. Lehrer aus der gleichen Stadt begrüssten sich kaum.

Der Vorstand bot ausländische Lehrkräfte auf, aber es erwies sich, dass diese den Unterricht zu schwierig gestalteten,  sodass nach einiger Zeit nur noch Kaiser und Schmucki auf der Tanzfläche waren. In dieser Zeit (1956) wurde der Cha-Cha-Cha aktuell. Die Schritte hatten in Amerika und auch in England schon lange existiert, aber unter dem Namen Triple Mambo und bis der Name Cha-Cha-Cha erfunden wurde, hatte der Tanz in Europa nicht eingeschlagen. Nachher brach das CCC Fieber aus. In der zweiten Hälfte der 50-er Jahre wurde dann beschlossen, den Kongress mit einheimischen Lehrern zu bestreiten.

In unserer Turnierkarriere gab es auch einige lustige Begebenheiten. Alex Moore’s Revised Technique wurde im Jahre 1952 publiziert und galt lange Zeit als die Tanzbibel. Eines Morgens, nach einem Turnier, stolperte der Holländer Wim van Voeten mit dem Telefonbuch (schon damals ziemlich dick) von München in der Hotelhalle herum und proklamierte dies als "Alex Moore Revised Technique 2020".


Vom Frühling 1951 (Badenweiler) bis November 1959 (Amsterdam) vertraten Albert und ich die Schweiz an praktisch allen nationalen und internationalen Profi-Turnieren. Eine Schweizer Profimeisterschaft gab es mangels Paaren nach 1953 nicht mehr. Auch vorher waren es maximal 4 Paare gewesen. Die Standard Sparte umfasste die gleichen Tänze wie heute, bei der Latein Sparte waren es Rumba, Samba, Paso-Doble und Tango. Jive kam erst in den 60-ern dazu und zuletzt noch der Cha-Cha-Cha. Die heutigen Hilfsmittel wie Video- oder Filmkontrolle, sowie regelmässiges Training bei Top-Trainer in England waren noch in weiter Ferne oder für uns finanziell nicht machbar, da wir doch die Schule betreiben mussten um Geld zu verdienen. 1951 machte ich mein ISTD Member Diplom und dann 1957 das Fellowship.


20 Jahre lang organisierten wir jede Menge Amateur Turniere, Teamkämpfe, Meisterschaften und Schulturniere.

Im Jahre 1957 war es die Schweizermeisterschaft. Das Fernsehen war zum ersten Mal dabei. In Deutschland begannen auch allmählich die Fernsehübertragungen, aber die kamen zu spät um uns von kommerziellem Nutzen zu sein. Wir hatten jedoch immer Spass an unserem Training. Lustig war auch als am "International" 1958 die Band von Joe Loss  in der Albert Hall bei unserer Vorstellung einen Ländler spielte!


Anfangs der 50-er Jahre hatte es eine ziemlich zahlreiche Einwanderung von deutschen Tänzern gegeben sodass, unter Druck von den Berner Klubs, die Ausländer an den Schweizermeisterschaften "hors concours" tanzen mussten. 1957 waren die besten 6 Paare alle Ausländer, somit wurde der 7. platzierte Schweizermeister! Dieser war einer unserer Paare, sowie 4 der ersten 6 Paare. Überhaupt waren unsere Paare in den 50-ern die erfolgreichsten Paare in der Schweiz als auch bei internationalen Teamkämpfen im Ausland.


Nebst meinem Tanzen mit Albert und meiner Lehrtätigkeit in der Schule war ich von 1953 an bis 1998 in allen Verbandstätigkeiten involviert: Technische Kommission, Unterricht an Kongressen und Lehrgängen, Wertungsrichterin an Turnieren im In- und Ausland, Profi-Ausbildungen, Vertretung des SOB beim ICBD, Medaltest Ausbildung und Beurteilung, Übersetzung von Teilen der Guy Howard und Walter Laird Technikbücher, Präsidentin des STV von 1974 bis zu dessen Auflösung 1984. Es war gesamthaft eine glückliche, produktive und befriedigende Zeit, obwohl manchmal auch frustrierend und ärgerlich.


Ich hatte sogar noch das Glück, mein eigenes Tanzen weiter zu betreiben, zuerst mit Peter Cervoni und später mit Martin Kaufmann.

Tanzlehrerkongresse habe ich in diesen 50 Jahren sehr wenige ausgelassen, und immer davon etwas profitiert. Modetänze kamen und gingen, teils Eintagsfliegen, teils dauerhaft. Nur einige Namen: Raspa, Letkiss, Casatschok, Sirtaki, Madison, Twist, Hully Gully, Slop, Funky Broadway, Penguin, Bossa Nova, Baion, alle die Linientänze und in letzter Zeit die Modetänze zu Südamerikanischer Musik oder Tango Argentino.

Die Entwicklung in der Art des Tanzens ging nach meiner Ansicht Hand in Hand mit der Emanzipation der Frau in den letzten Dekaden. Bei den Standard Tänzen war der Mann der Massgebende, und die Frau ein attraktives Anhängsel. Später als die südamerikanischen Rhythmen und Jive populär wurden, hatte die Frau schon mehr selbständige Ausdrucksmöglichkeiten, und noch später, in den 70-igern hat sie sich bei der Disco Musik vollständig gelöst von der männliche Bevormundung – sie wurde nicht mehr geführt, sondern  konnte sich selbst verwirklichen. Heute ist das Paartanzen wieder gefragt, aber die Discomusik blieb – also Disco Fox / Swing!